Zeitzeug:in

Günter

Günter kommt aus dem kleinen Dorf Günterode in Thüringen, das in unmittelbarer Nähe der deutsch-deutschen Grenze lag. Vor allem durch die täglichen, mehrfachen Kontrollen war für ihn und seine Familie das Leben im Grenzgebiet mit besonderen Einschränkungen verbunden. Verbindungen zwischen Ost und West bestanden auch innerhalb der Familie: so lebten zum Beispiel die Brüder seiner Mutter in Hamburg. Günter wollte eigentlich nach seiner mittleren Reife Musiker werden, übernahm aber nach dem plötzlichen Tod seines Bruders dessen Position als Elektriker im Betrieb. Günter sagt, dass er allgemein mit dem Leben in der DDR unzufrieden war: „Man musste ja alles mitmachen.“ Er trug sich schon länger mit dem Gedanken, aus der DDR zu fliehen, bezeichnet seine Flucht aber auch als „jugendlichen Leichtsinn“. Mit einem Freund und Kollegen plante er die Flucht über einen längeren Zeitraum, ohne seine Familie in die Pläne einzuweihen. Dabei versuchten sie, so viele Informationen über die Grenzanlagen in Erfahrung zu bringen, wie sie konnten. Dabei gelangten sie auch an Informationen direkt von den Grenzsoldaten, die abends bei einem Glas Bier in der örtlichen Kneipe von ihrer Arbeit erzählten. Vor allem Informationen über die verminten Gebiete der Grenzanlagen waren für Günter und seinen Freund besonders wichtig. So konnten sie vor ihrer Flucht genaue Pläne zeichnen, die ihnen dabei halfen, sich während der Flucht zu orientieren. Während ihrer Flucht selbst hatten sie am meisten Angst vor den Hunden. Aber auch „Bautzen“, als Synonym für eine drohende langjährige Haftstrafe, hatten die beiden währenddessen im Hinterkopf.

Nach der geglückten Flucht kamen sie über das Notaufnahmelager Gießen im November 1967 nach Hamburg. Die erste Anlaufstelle hier waren seine zwei Onkel, die Günter an den CVJM an der Alster vermittelten. Zunächst konnten Günter und sein Freund für einige Zeit im Sonnenscheinhaus des Vereins unterkommen. Der CVJM war es auch, der Günter dabei half, eine Stelle als Elektrotechniker bei Siemens zu bekommen. Im Anschluss machte Günter eine Ausbildung im Schifffahrtsgewerbe. Dort hatte er die Chance auf den großen Passagierschiffen der Hapag Lloyd die Welt zu bereisen. Nach der Arbeit in der Frachtschifffahrt arbeitete Günter bei der Bauaufsicht und machte sich schließlich selbstständig. 

AUDIOFILES

Persönliche Dokumente/Quellen

Skizze einer Grenzanlage, die Günter nach seiner geglückten Flucht aus der Erinnerung gezeichnet hat (Copyright: Zeitzeuge Günter)

Dokument über die ständige Erlaubnis im Bundesgebiet ausgestellt im Notaufnahmelager Gießen (Copyright: Zeitzeuge Günter)

Aktuelles Foto vom Haus, in welchem sich das erste Büro von Zeitzeuge Günter befand (Copyright: Jan Krawczyk)

Foto des Hauses, in welchem Zeitzeuge Günter sein Büro Anfang der 1980er Jahre hatte (Copyright: Zeitzeuge Günter)

Auf diesem Foto ist das Büro von Zeitzeuge Günter zu sehen. Man erkennt den Ausblick auf das Trockendock von Blohm und Voss (Copyright: Zeitzeuge Günter)

»Orte der (Un-)Sichtbarkeit« ist ein Kooperationsprojekt des Arbeitsfeldes Public History der Universität Hamburg und der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg. Es wird im Bundesprogramm »Jugend erinnert«, in der Förderlinie SED-Unrecht der Bundesstiftung Aufarbeitung gefördert.

Links

Skip to content