Lettow-Vorbeck-Kaserne I — „ich war froh, dass wir wieder zusammen waren“
Die sogenannte Lettow-Vorbeck-Kaserne war vor allem in den 1950er Jahren ein zentraler Ort des Ankommens für Menschen aus der DDR. Auf der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten wurden in Hamburg ehemalige Kasernen als Durchgangslager für geflüchtete Menschen genutzt. In der Lettow-Vorbeck-Kaserne wurden über 5000 Menschen untergebracht, die eigentlich dem Bundesland Nordrhein-Westfalen zugewiesen waren...
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Lettow-Vorbeck-Kaserne—„ich glaube, ich hab diese Zeit irgendwo weggedrängt“
Die Lettow-Vorbeck-Kaserne bot den Geflüchteten zunächst alles, was sie zum Ankommen und Leben in Hamburg brauchten. Den Menschen standen Geschäfte, Ärzte, amtliche Stellen und Freizeitangebote zur Verfügung. Diese Struktur half den Geflüchteten, sich besonders am Anfang möglichst schnell zurechtzufinden. Gleichzeitig sollte aber genau dieser Aufbau auch dafür sorgen, dass sich die Menschen, die nach NRW weitergeschickt wurden, gar nicht erst mit der Hamburger Innenstadt vertraut machten...
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Lettow-Vorbeck-Kaserne I
Lettow-Vorbeck-Kaserne I — „ich war froh, dass wir wieder zusammen waren“
Die sogenannte Lettow-Vorbeck-Kaserne war vor allem in den 1950er Jahren ein zentraler Ort des Ankommens für Menschen aus der DDR. Auf der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten wurden in Hamburg ehemalige Kasernen als Durchgangslager für geflüchtete Menschen genutzt. In der Lettow-Vorbeck-Kaserne wurden über 5000 Menschen untergebracht, die eigentlich dem Bundesland Nordrhein-Westfalen zugewiesen waren...
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Herzlich Willkommen auf Tour zwei im Hamburger Osten. Es erwarten euch zwei Stationen an einem Ort. Den Namen seht ihr an der Mauer vor euch: „Lettow-Vorbeck-Kaserne“. Diese Kaserne hat eine umstrittene Geschichte. In den 1930er Jahren wurde sie für die Wehrmacht gebaut. Die Kaserne wurde nach Paul von Lettow-Vorbeck benannt. Lettow-Vorbeck war bis in den 1. Weltkrieg hinein Kommandeur sogenannter „Schutztruppen“ in den deutschen Kolonien unter Lothar von Trotha. Sowohl von Trotha als auch Lettow-Vorbeck waren für den Völkermord an den Herero und Nama in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika im heutigen Namibia verantwortlich, bei dem über 75.000 Menschen getötet wurden. An die Zeit des Deutschen Kolonialismus wird mit zwei Texttafeln am sogenannten „Trotha-Haus“ erinnert. Die Benennungen sind bis heute geblieben und auch die Fassaden erinnern an diese Zeit. Hier überlagern sich aber mehrere Geschichten, denn diese Kaserne war auch ein Ort des Ankommens. Wir hören nun die Erinnerungen von Gitte, Marlen und Manfred, die in den 1950er Jahren aus der DDR nach Hamburg kamen und ihre erste Unterkunft genau in dieser Kaserne fanden. Aber warum kamen gerade in den 1950er Jahren so viele Menschen nach Hamburg? Ein Grund, warum Menschen aus der DDR nach Hamburg geflohen sind, war der Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Dabei protestierten rund eine Million Menschen gegen die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR. Der Aufstand wurde mit Panzern und Waffen niedergeschlagen. Dabei sind auch Menschen umgekommen. Viele wurden danach inhaftiert oder flohen. Unmittelbar nach dem Aufstand hat die Bundesrepublik den 17. Juni zum Feiertag erklärt und nannte ihn „Tag der deutschen Einheit“. An diesem Tag wurde an den Volksaufstand und das Ziel der Wiedervereinigung erinnert. 1990 wurde dann — wie wir bereits beim Platz der Deutschen Einheit erfahren haben — der 3. Oktober zum Tag der Deutschen Einheit ernannt. Der 17.06.1953 spielt auch in den Geschichten von Gitte und Marlen eine Rolle. Für Gittes Familie war die Situation schon vor dem 17. Juni 1953 dramatisch. Ihr Vater saß wegen versuchten Verrats an der Republik zweieinhalb Jahre in Haft. Er kam ins Gefängnis, weil er einen Brief an den amerikanischen Radiosender RIAS schickte. In diesem Brief schrieb er, dass die SED — diese Abkürzung steht für Sozialistische Einheitspartei Deutschlands — bei demokratischen Wahlen nicht einmal 15 Prozent erhalten hätte. In der DDR stand nämlich bereits vor der Wahl das Ergebnis fest. Gewonnen hat dabei immer die SED. Gittes Vater spielte also mit seinem Brief darauf an, dass es in der DDR keine freien Wahlen gab. Das Hören des Radiosenders RIAS wurde von der Regierung nicht gerne gesehen und später sogar verboten. Dass Gittes Vater dann auch noch die Regierung kritisierte, brachte ihn ins Gefängnis. Nach seiner Zeit in Haft verschlechterte sich die Situation für die Familie weiter, da der Vater nicht mehr in seinen alten Beruf zurückkehren durfte. Er konnte nur noch Hilfsjobs annehmen und musste sich einmal in der Woche bei der Polizei melden. Auch sein Pass wurde ihm abgenommen. Gitte erzählt, dass er schon im Gefängnis die Entscheidung getroffen hätte, zu fliehen. Seine Familie sollte ihm einige Zeit später folgen. Am 17. Juni 1953 war die Familie deshalb bereits im Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde. Von dort wurden sie nach Hamburg ausgeflogen. Neben Berlin-Marienfelde gab es andere Notaufnahmelager wie zum Beispiel in Gießen und Uelzen. Für Marlens Familie war der 17. Juni ein Zeichen der Hoffnung, dass sich die Verhältnisse in der DDR verbessern würden. Als dies dann aber nicht eintraf und sich die wirtschaftliche Situation sogar noch weiter verschlechterte, beschloss ihr Vater 1954 nach Hamburg zu fliehen. Marlen, ihr jüngerer Bruder und ihre Mutter kamen später hinterher. Audio Marlen Wie für Gitte war auch für Marlen, ihren Bruder Hans und ihre Mutter das Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde eine erste Anlaufstelle. Von ihren Erfahrungen und der Registrierung berichtet Marlen jetzt. Audio Marlen Nach einigen Wochen in Berlin wurden auch sie nach Hamburg ausgeflogen. Audio Marlen Als geflüchteter Mensch zu dieser Zeit in Hamburg anzukommen, war nicht leicht. Die Situation in den 1950ern war nämlich eine ganz besondere. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen acht Millionen Menschen westlichen Besatzungszone – die spätere Bundesrepublik - und vier Millionen in die SBZ - das bedeutete Sowjetische Besatzungszone - die spätere DDR. Es handelte sich um Geflüchtete und Heimatvertriebene aus den ehemals deutschen und deutschbesiedelten Gebieten Ost- und Mitteleuropas. Für die gleichmäßige Verteilung der acht Millionen Menschen und der Geflüchteten aus SBZ und DDR auf die verschiedenen Bundesländer, hatte sich die Bundesregierung eine Regelung überlegt. Sie orientierte sich an der Größe der einzelnen Bundesländer und bestimmte danach, welches Land wie viele Menschen aufnehmen sollte. Das Land Hamburg wollte nur die Menschen aufnehmen, die hier einen Arbeitsplatz bekommen hatten oder bei Freunden und Verwandten unterkommen konnten. Es gab zudem nur wenig Möglichkeiten der Unterbringung und die Stadt konnte nicht für so viele Menschen sorgen. 1952 legte die Bundesregierung zusätzlich fest, dass auch Menschen für eine gewisse Zeit untergebracht werden mussten, die eigentlich einem anderen Bundesland zugewiesen worden waren. Deswegen wurden in Hamburg nun auch Menschen versorgt, die später in Nordrhein-Westfalen wohnen sollten. Auch Marlen und Manfred wussten zunächst nicht, wo sie auf einen Neuanfang hoffen durften. Ihre Familien und auch Manfred selbst mussten schnell Arbeit finden, um eine Chance auf ein Leben in der Hansestadt zu haben. Audio Manfred Audio Marlen Wie wir gerade gehört haben, hatte Marlens Vater Arbeit gefunden und durfte bleiben. Die Familie konnte deshalb zusammen in der Lettow-Vorbeck-Kaserne leben. Marlen erinnert sich an das emotionale Wiedersehen nach dem Flug aus Berlin und der Ankunft in Hamburg. Audio Marlen Sie beschreibt die Enge in der Lettow-Vorbeck-Kaserne. Auf der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten wurden in Hamburg wie auch in anderen Städten ehemalige Kasernen als Unterkünfte genutzt - wie die Lettow-Vorbeck-Kaserne. Sie wurde zum Durchgangslager umgebaut. Zusammen mit der Nachbarkaserne Estorff wurde so für 5.000 Menschen Platz geschaffen. Im Februar 1953 bezogen die ersten Geflüchteten die Kaserne. Das Durchgangslager war von Anfang an überbelegt: Statt 5.000 Menschen sollten die Belegungszahlen schon im März 1953 auf 6.000 erhöht werden. Ein gewählter Flüchtlingsausschuss erkämpfte eine Herabsetzung auf 5.500 Bewohner. So lebte man auf sehr engem Raum zusammen, denn pro Person standen nur ungefähr zweieinhalb bis drei Quadratmeter zur Verfügung. Wir hören nun, wie Gitte die anfängliche Wohnsituation in der Kaserne wahrnahm. Auch Marlen beschreibt das Zimmer noch einmal genauer und zieht dabei eine Verbindung zur Unterbringung von Geflüchteten heute. Audio Gitte Audio Marlen Der Wunsch nach einer eigenen Wohnung war groß, doch viele Familien mussten teilweise monatelang warten, bis sie aus dem Durchgangslager ausziehen konnten. Für Gittes Familie war es dabei am wichtigsten, so schnell wie möglich eine Wohnung zu finden. Audio Gitte Wir haben gerade einiges über die Geschichte dieser Kaserne erfahren und von persönlichen Erinnerungen an das Ankommen gehört. Bei der nächsten Station hören wir, wie der Alltag in der Kaserne aussah. Macht euch dazu auf den Weg zum großen Parkplatz, den ihr direkt seht, wenn ihr die nächste Straße hinter der Mauer rechts abbiegt.
Lettow-Vorbeck-Kaserne II
Lettow-Vorbeck-Kaserne—„ich glaube, ich hab diese Zeit irgendwo weggedrängt“
Die Lettow-Vorbeck-Kaserne bot den Geflüchteten zunächst alles, was sie zum Ankommen und Leben in Hamburg brauchten. Den Menschen standen Geschäfte, Ärzte, amtliche Stellen und Freizeitangebote zur Verfügung. Diese Struktur half den Geflüchteten, sich besonders am Anfang möglichst schnell zurechtzufinden. Gleichzeitig sollte aber genau dieser Aufbau auch dafür sorgen, dass sich die Menschen, die nach NRW weitergeschickt wurden, gar nicht erst mit der Hamburger Innenstadt vertraut machten...
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Vom alltäglichen Leben in der Kaserne erfahren wir nun von Gitte, Marlen und Manfred. Dabei begegneten ihnen Herausforderungen und Schwierigkeiten. Sie hatten aber auch kleine Momente des Glücks. Das Leben in der ehemaligen Kaserne war sehr organisiert. Marlen und Manfred erinnern sich daran, wie das Lager und das Leben darin aussahen. Audio Marlen Audio Manfred Die Lettow-Vorbeck-Kaserne bot den Geflüchteten zunächst alles, was sie zum Ankommen und Leben in Hamburg brauchten. Den Menschen standen Geschäfte, Ärzte, amtliche Stellen und Freizeitangebote zur Verfügung. Diese Struktur half den Geflüchteten, sich besonders am Anfang möglichst schnell zurechtzufinden. Gleichzeitig sollte aber genau dieser Aufbau auch dafür sorgen, dass sich die Menschen, die nach NRW weitergeschickt wurden, gar nicht erst mit der Hamburger Innenstadt vertraut machten. Diese Abschottung war ganz im Sinne der Sozialbehörde, wie man es in einem Protokoll aus dem Jahr 1953 nachlesen kann. Dort heißt es: Zitat „[…] die Flüchtlinge nicht allzu häufig zum Besuch der Innenstadt aufzufordern, da seitens Hamburgs keinerlei Interesse besteht, den Flüchtlingen den Anreiz zum Verbleiben in Hamburg zu geben, soweit nicht eine baldige Arbeitsvermittlung erfolgen kann.“ Zitat Ende. Dies erklärt eindrücklich, warum das Lager in seiner Struktur einem kleinen Dorf glich. Für die Kinder der Familien, die in der Kaserne untergebracht wurden, gab es sogar einen eigenen Lagerkindergarten und eine Lagerschule. Sowohl Gitte als auch Marlen und ihr Bruder Hans gingen sehr bald nach ihrer Ankunft in diese Schule. Marlen wurde ein halbes Schuljahr zurückversetzt. Dass das nicht an ihren Leistungen, sondern an den unterschiedlichen Zeiten des Schuljahres in der DDR lag, erzählt sie uns jetzt. Audio Marlen Unter welcher Anspannung Gitte in der Lagerschule stand, zeigt ihre Erinnerung an diese Zeit. Audio Gitte Als die Familie von Marlen wusste, dass sie in Hamburg bleiben durften, wählte sie für die Kinder eine Schule außerhalb des Lagers. Dabei hatte Marlen eine große Hürde zu bewältigen: In der DDR hatte sie Russisch gelernt und nicht – wie in der Bundesrepublik üblich – Englisch. Sie ging gemeinsam mit ihrem Bruder in die nahegelegene Boveschule, weil es dort spezielle Auffangklassen gab, die den Einstieg in Hamburg erleichtern sollten. Wie sie an die Boveschule kamen, beschreibt Marlen nun genauer. Audio Marlen Marlen und ihr Bruder hatten nun endlich eine Schule gefunden. Die Erfahrungen dort waren aber nicht immer positiv. Audio Marlen Das Anderssein als geflüchtete Person, bekam auch Manfred außerhalb der Kaserne zu spüren. Dabei begegneten ihm Vorurteile und sogar Beschimpfungen. Audio Manfred Das Leben außer- und innerhalb des Lagers war nicht einfach. Es gab aber auch Momente, in denen Gitte, Marlen und Manfred dem Lageralltag - zumindest kurzzeitig - entfliehen konnten. Für Gitte war es die Begegnung mit einem Wellensittich, den sie Heinerle nannte. Audio Gitte Die christliche Gemeinde, die sich mit ihrem Angebot vor allem an junge Menschen in der Kaserne richtete, war für Marlen eine wichtige Anlaufstelle. Audio Marlen Manfred fühlte sich durch kulturelle Angebote besonders willkommen. Eine Laienschauspielgruppe und die Diskussionsabende, auf denen über Themen des Alltags geredet wurden, haben Manfred, wie er sagt, das Lagerleben versüßt. Audio Manfred In regelmäßigen Abständen kamen Studierende in die Kaserne, die vor allem für junge Menschen Veranstaltungen anboten. Dass die Angebote an junge Menschen in der Kaserne aber auch einen politischen Zweck verfolgten, zeigt sich in einem Protokoll einer Dienstbesprechung vom 13. Dezember 1954. Hier heißt es: „Da der Flüchtling länger unter kommunistischem Einfluß gestanden hat, ist eine Aktivierung der Betreuung anzustreben, vor allem der Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren.“ Viele Abläufe in der Kaserne fußten anfangs auf ehrenamtlichem Engagement. So halfen Geflüchtete zum Beispiel bei der Ausgabe von Sachspenden. Darüber hinaus unterstützte auch eine uns von der Trostbrücke schon bekannte Person in den 1960er Jahren das Lager mit Spenden: Barbara von der Flüchtlingsstarthilfe. Wir haben von Gitte, Marlen und Manfred von ihrem alltäglichen Leben in der Lettow-Vorbeck-Kaserne erfahren dürfen. Manfred verbindet vor allem positive Dinge mit seinem Leben im Lager. Von Gitte haben wir gehört, dass die Zeit für sie sehr belastend war. Ihre Erinnerungen sind mittlerweile schon verblasst. Audio Gitte Menschen sind damals geflohen, Menschen fliehen auch heute noch. Auch wenn sich die Gründe und Wege unterscheiden: es gibt Gemeinsamkeiten. Wir haben gerade gehört, wie wenig Platz die Menschen in der Kaserne hatten. Heute noch ist die Unterbringung geflüchteter Menschen auf engem Raum oft ein Problem: Wie viel Privatsphäre ist überhaupt möglich? Wie ist das Leben ohne einen Rückzugsraum für sich selbst? Wie kann eine geflüchtete Person ihren Alltag selbstbestimmt gestalten? Wir haben darüber hinaus von Marlen und Manfred erfahren, wie ablehnend ihnen teilweise in den 1950er Jahren begegnet wurde. Was meint ihr: erkennt ihr die Vorwürfe und Vorurteile, von denen die beiden uns erzählt haben, wieder? Habt ihr schon einmal Ausgrenzung von geflüchteten Menschen mitbekommen? Worum ging es dabei? Für Marlen und Manfred ging die Zeit, in der sie in einer Kaserne leben mussten, noch weiter. Beide kamen mit ihren Familien nach Finkenwerder in ein weiteres Durchgangslager, das für diejenigen bestimmt war, die in Hamburg bleiben durften. Vor allem die Möglichkeit, sich in einer Laienschauspielgruppe betätigen zu können, sollte Manfred auch noch nach Finkenwerder begleiten. Audio Manfred Davon werdet ihr auf Tour drei mehr erfahren. Die Tour beginnt an Brücke 1 an den Landungsbrücken. Wir hören uns dort wieder!